Die Wissenschaft scheut das Unbewusste wie der Teufel das Weihwasser: Bevor der Wissenschaftler das Labor betritt, muss er seine Befindlichkeiten, seinen Körper und seine Triebe an der Garderobe abgeben (eine Ausnahme bildet allenfalls die Neugier). Andererseits kommt die Wissenschaft ohne das Unbewusste aber auch nicht aus. Neue Fragen kommen oft zufällig und ungewollt daher – als hätten sie nur auf den Moment gewartet, wo der wissenschaftliche Verstand mal nicht aufpasst. Deshalb hat Freud dem Unbewussten eine wichtige Funktion nicht nur für künstlerische Schöpfungen, sondern auch für »feine und schwierige intellektuelle Arbeit, die sonst angestrengtes Nachdenken erfordert« beigemessen. Wenn aber die Wissenschaft dem Unbewussten soviel verdankt – warum schreckt sie dann davor zurück? Weil das Unbewusste dazu führt, dass man nicht mehr »Herr im eigenen Haus« ist, und weil das Unbewusste nicht den »logischen Denkgesetzen« folgt: Laut Freud stößt es sich weder am Widerspruch noch nimmt es »Rücksicht auf die Realität«, sondern ersetzt die »äußere Realität« durch die psychische. Nicht einmal für die Gesetze der Chronologie habe das Unbewusste ein Gespür. Genügend Gründe für die Wissenschaft, sich das Unbewusste vom Leib zu halten. Wie aber löst die Wissenschaft das Dilemma, dass sie einerseits vom Unbewussten Anregungen erwartet, andererseits aber davor zurückschreckt? Indem sie das Unbewusste feminisiert. So wird einerseits all das abgespalten, was (noch) nicht ent-deckt, entschleiert und kartographiert ist, andererseits geht der Wissenschaft aber auch der Stoff nicht aus. Gegenwärtig ist die Erforschung unbewusster Prozesse Gegenstand zahlreicher Wissensfelder von der Kognitionsforschung bis zur Unternehmensführung. Es gibt auch ein verstärktes wissensgeschichtliches Interesse am Unbewussten, wie es in Untersuchungen zum kollektiven und politischen Imaginären, zum optischen Unbewussten, dem Unbewussten der Maschine etc. zum Ausdruck kommt. Die Tagung schließt an diese Entwicklungen an, indem sie versucht, dem Unbewussten und seinen Erscheinungsformen in einzelnen Disziplinen bzw. Forschungsfeldern nachzugehen. Dabei will sie insbesondere auf das Desiderat reagieren, dass den Geschlechts- und Sexualcodierungen in den vielfältigen Konzeptionen des Unbewussten bisher nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet wurde, obgleich diese das klassische Terrain des Unbewussten darstellen.
2007